– Mein Praktikum in der Servicestelle: Gedanken zu Inklusion und Soziokultur

Mein Praktikum in der Servicestelle: Gedanken zu Inklusion und Soziokultur

Ob ich etwas benötige im Büro, an meinem Arbeitsplatz, ob ich Bedarf an irgendetwas habe, fragte mich mein Kollege einige Wochen vor Praktikumsbeginn am Telefon. In meiner Aufregung wusste ich nicht recht, worauf die Frage abzielte. Verwirrt antwortete ich, nein, nein, und sollte ich merken, ich benötige dringend eine Topfpflanze auf meinem Schreibtisch, dann könnte ich mir die natürlich einfach selbst organisieren. Den Hörer aufgelegt wurde mir die Sache sofort klar und es war mir schrecklich peinlich: Eine Servicestelle für Inklusion im Kulturbereich legt natürlich auch Wert auf Inklusion in den eigenen vier Wänden. Und ein Arbeitsplatz – und sei es „nur“ ein Büro – birgt eine ganze Reihe potenzieller Barrieren, von baulichen Hürden wie Stufen und engen Toiletten über kommunikative Normen bis hin zu sozialen Ängsten. Ich – ein Mensch ohne Behinderung, ein Mensch, der zwar viel mit Menschen mit Behinderung in Kontakt war und der gewiss nicht ganz ohne physische bzw. psychische Belastung durchs Leben geht – ja, ich hatte dennoch im Moment des Telefonats nicht geschaltet. Ich hatte es schlichtweg nicht auf dem Schirm, dass dies eine Frage ist, die eigentlich jeder neuen Mitarbeiter:in in jeglichem Arbeitskontext gestellt werden sollte.

In dieser Situation – auf den ersten Blick ein unscheinbares Missverständnis – sehe ich ein hervorragendes Beispiel dafür, wie es um Inklusion in unserer Gesellschaft steht. Immer mehr Menschen sehen: Inklusion ist wichtig. Wir wollen Teilhabe. Wir wollen Vielfalt. Immer mehr Menschen wollen Barrieren abbauen. Aber um Barrieren abzubauen, muss man Barrieren sehen. Und Barrieren zu sehen, die für einen selbst keine sind, das fällt nicht immer leicht.

Ich denke, mein Praktikum in der Servicestelle Inklusion im Kulturbereich hat mir geholfen, mehr Barrieren zu sehen. Ich habe fachliches Wissen gesammelt: Welche Hürden birgt ein Kulturbesuch? Wie funktioniert barrierearme Öffentlichkeitsarbeit? Worauf kann bei der Programmwahl geachtet werden? Nicht zuletzt meine Aufgabe, die Inhalte des Handbuchs der Servicestelle in sinnvoller Anordnung und ansprechender Form auf die Website zu transferieren, hat dazu geführt, dass ich die Handbuchinhalte recht bald gut verinnerlicht hatte. (Nebenbei habe ich auch gelernt, mit WordPress umzugehen. Meine größter Stolz: Ankerlinks!)

Es sind also einige Barrieren sichtbar geworden, die mir vorher unbekannt waren. Aber gleichzeitig sehe ich auch, dass ich niemals alle Barrieren sehen werde. Dass ich immer ein Mensch mit bestimmten Voraussetzungen und einem speziellen Blickwinkel auf die Welt bleiben werde. Umso wichtiger bleibt es also in Kontakt zu treten mit unterschiedlichen Akteur:innen unserer Gesellschaft, mit Menschen mit unterschiedlicher Expertise und unterschiedlichen Erfahrungen. Inklusion ist ein niemals endender Prozess, aber es ist zugleich ein Prozess, in dem jeder Schritt nach vorne wichtig und wertvoll ist.
Diese und ähnliche Diskussionen durfte ich während meines Praktikums immer wieder mit meinen Kolleg:innen führen. Denn zwischen den offiziellen Terminen wie Online-Fortbildungen, Teambesprechungen oder Beratungsterminen hört das Lernen nicht auf. Da sich der Landesverband Soziokultur und die drei Servicestellen einen Flur teilen und nicht selten Inklusion, Freie Szene, Kultur macht stark und Soziokultur gemeinsam am Mittagstisch saßen, waren jene Zusammenkünfte natürlich prädestiniert für kontroverse Debatten rund um Kultur und Gesellschaft: Was hat es mit der Dresdner Gedenkkultur auf sich? Warum denken bei Kultur alle nur an Oper und Gewandhaus? Und nicht an Clubs oder dergleichen? Wie können wir einen breiteren Kulturbegriff vorantreiben? Warum ist politische Teilhabe leichter gesagt als getan? …

Mit dem Landesverband Soziokultur als Träger der Servicestelle für Inklusion hatte ich das Glück neben dem Arbeitsbereich der Servicestelle Inklusion noch andere Einblicke zu erhalten: Was ist eigentlich Soziokultur? Und wer sind diese 65 ominösen soziokulturellen Zentren, verteilt über ganz Sachsen? Was macht ein Dachverband? Wie funktioniert Lobbyarbeit in der Kulturpolitik? Welch‘ erhellender Einblick, einfach mal über die Schulter zu blicken, wenn sich Kulturverbände per Zoom zum Gespräch zusammenschalten und mit Vertreter:innen aus Politik und Ministerien über Förderprogramme und dergleichen diskutieren!

Man könnte sich an dieser Stelle fragen: Was hat überhaupt Soziokultur mit Inklusion zu tun? Ich denke eine ganze Menge: Soziokultur impliziert für mich die Idee von kultureller Teilhabe, von zugänglicher Kultur und von einem kulturellen Angebot, das unserer Gesellschaft guttut. Aus diesem Anspruch heraus ist Inklusion ganz logisch der Prozess, den Soziokultur gehen möchte: Kultur so zu gestalten, dass sich viele verschiedene Menschen angesprochen und willkommen fühlen. Kultur so zu gestalten, dass viele verschiedene Menschen sich einbringen und mitgestalten können. Und nicht zuletzt Kultur so zu gestalten, dass Strukturen der Gesellschaft und unseres Denkens reflektiert und verändert werden können.

Während ich also die letzten zwei Monate an meinem sonnigen Schreibtisch im Büro der Servicestelle saß, nur ein Stockwerk entfernt vom geschäftigen Treiben der Dresdner Alaunstraße, während ich am Infoportal der Website gebastelt habe oder soziokulturelle Zentren in Sachsen gegoogelt habe, ja, da hab‘ ich wohl nebenbei eine Menge Gedanken ausgebrütet. Ein paar dieser Gedanken konnte ich hier niederschreiben. Viele weitere bewahre ich mir auf und ich bin mir sicher, dass sie in vielen weiteren Lebenslagen wieder aufblitzen werden. Die große Herzlichkeit und Offenheit des Teams der Soziokultur, das große Vertrauen in meine Arbeit sowie das stetige Erklären und Aufklären hat mir das Praktikum zu jedem Zeitpunkt zu einer extrem wertvollen und lehrreichen Zeit gemacht! Ein Hoch auf Inklusion! Ein Hoch auf Soziokultur!


Die Autorin: Maria Jansen hat ein zweimonatiges Praktikum in der Servicestelle Inklusion im Kulturbereich absolviert. Sie ist Studentin der Soziologie und Arabistik und berichtet von ihrer Arbeit in der Servicestelle und den Gedanken, die sie vom Arbeiten abhielten.