– Fachgespräch im Museum: Geschichten, die fehlen

20.08.2020 | Halle (Saale), Stadtmuseum

Das Foto zeigt vier Personen in einem Ausstellungsraum: links einen mann mit einen Langstock, rechts daneben eine Frau im Rollstuhl, dahinter eine Frau, rechts daneben einen Mann. Im Hintergrund sind Aufsteller und Ausstellungsobjekte zu sehen.

Museen sammeln und präsentieren, das „gegenständliche kulturelle Gedächtnis“ der Menschen und sie reagieren „dynamisch auf gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen“ (Deutscher Museumsbund: Standards für Museen, 2005). Daher müssen sie sich fragen, ob es Lücken im Gedächtnis gibt und wie diese geschlossen werden können. Das betrifft auch das Thema „Menschen mit Behinderung“. Viele Museen sind entsprechend sensibilisiert und befinden sich auf dem Weg zu mehr Barrierefreiheit, zum Beispiel mit inklusionsorientierten Veranstaltungen. Trotzdem sind die Geschichten der Menschen mit Beeinträchtigung in den Sammlungen und Ausstellungen unterrepräsentiert. Um diese Lücke zu schließen braucht es gute Ideen!

Ein beispielhaftes Konzept bietet das Sammlungs- und Ausstellungsprojekt „Geschichten, die fehlen“ des Stadtmuseums Halle. Die Ausstellung war vom 29.11.2019 bis 30.08.2020 zu sehen. Das Projekt wurde durch das Programm Stadtgefährten der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Eine detaillierte Beschreibung ist auf der Projekt-Homepage zu finden. Kern des Projektkonzepts ist es, dass Betroffene über einen partizipativen Prozess ihre Geschichte für die Ausstellung beisteuern. Als Ergebnis wurden im Ausstellungsteil „Geschichten von heute“ 35 persönliche Geschichten dargestellt. Zu sehen war zum Beispiel ein Speichenschutz für einen Tanzrollstuhl. Dieser Speichenschutz symbolisiert für die (in einer Tanzgruppe aktiven) Rollstuhlfahrerin ihre Liebe zur Musik und zum Tanz. In einem zweiten Ausstellungsteil „Geschichten von früher“ hat das Museum in 15 Kapiteln ihre eigene Sammlung zum Thema „Menschen mit Behinderung“ befragt und Beispiele ausgehend von der Jungsteinzeit (ein Schädel mit einem Loch) bis ins 20. Jahrhundert (eine Figur des stadtbekannten Zither-Reinhold) zusammengetragen.

Am 20. August stand die Projektleiterin Elke Arnold für ein Fachgespräch mit Annett Heinich (Inklusionsbotschafterin), Dirk Sorge (Museumsberater im Bereich Inklusion) und Matthias Franke (Referent der Servicestelle Inklusion im Kulturbereich) zur Verfügung. Wir haben uns darüber ausgetauscht, wie der partizipative Prozess gestaltet und Netzwerke geknüpft wurden. Mit Hilfe der Beteiligten war es möglich, neue Objekte für das Museum zu sammeln und eine barrierefreie Ausstellung zu erarbeiten (in der die Texte durchgehend in leichter Sprache verfasst wurden). Es hat sich im Gespräch erneut gezeigt, dass das Thema Inklusion in allen Arbeitsbereichen Berücksichtigung finden muss (z. B. braucht es passende Schlagwörter zum Thema „Menschen mit Behinderung“ in der Inventarisierung, damit die Objekte recherchiert werden können). In mehrfacher Hinsicht kann dieses Projekt ein entscheidender Impuls für das Stadtmuseum sein: Es wurden Lücken in der Sammlung geschlossen, Arbeitsprozesse geändert, Netzwerke aufgebaut und neue Besuchergruppen erschlossen. Entsprechend kann dieses Projekt beispielgebend für andere Museen sein. Das Stadtmuseum Halle plant die gewonnenen Netzwerke und Erkenntnisse für die zukünftige Arbeit zu nutzen.

 

Zu sehen ist ein ausschnitt der Ausstellung "Geschichten, die fehlen" im stadtmuseum Halle am 20. August 2020. Die Objekte sind auf Tischen angeordnet. Im Hintergrund rechts betrachtet Dirk Sorge einen Tisch.